Tropenfieber

Meine vietnamesische Familie im Impression Hotel ist wirklich liebenswert. Nachdem ich es irgendwann aus dem Bett geschafft habe, bitte ich sie um Hilfe bei der Arztsuche für einen Bluttest. Das Krankenhaus möchte ich vorerst umgehen, nicht dass jemand auf die Idee kommt mich dort zu behalten. Die junge Hotel-Mama will mich gerne zu einem „guten Arzt“ fahren, von dem sie glaubt, dass der weiterhelfen kann. In einer Stunde soll es losgehen. Es werden zwei. Lächeln und Geduld sind auch in Vietnam unerlässlich.
Die Arztpraxis des alten Chinesen ähnelt einem Gemischtwarenladen mit integrierter Zoohandlung. Vorne offen zur lärmenden Straße hin befindet sich ein Apothekenbereich mit allerlei seltsamen Zeugs. Hinten befindet sich eine Behandlungskabine, die auch von einem Schäferhund als sein Revier betrachtet wird. Ein müder dicker Fisch starrt aus seinem leeren Aquarium apathisch Richtung Freiheit. Ich schaue apathisch zurück. Zahlreiche Vogelkäfige neben chinesischen Abreißkalendern machen den Zoo perfekt.
Nein, ein Bluttest ist hier sicherlich nicht möglich. Und so beschränkt sich die Konsultation, dank Übersetzungshilfe von meiner Hotel-Mama auf Fiebermessen, Puls, Blutdruck, ein kurzes Abtasten und endet in einer Überweisung ins Hue Central Hospital. Dass es hier leider keine private Klinik gibt, habe ich zuvor schon durch meine Internet Recherche herausgefunden.
Es bleibt also nur das städtische Krankenhaus.
Die Notaufnahme des grauen Gemäuers ist genau das, was man sich unter einem asiatischen Krankenhaus vorstellt. Und keinesfalls möchte man hier nach einem ernsten Unfall landen. Hinter zwei Edelstahlschwingtüren mit Fenstern, die bereits von zahlreichen Angehörigen belagert werden, eröffnet sich das Chaos eines Feldlazaretts. Zur linken ein holzgetäfelter Tresen mit tiefen Spuren von unzähligen Zusammenstößen mit den vielen Patientenliegen. Zettel, Stempel und Heftklammern und rege Betriebsamkeit vor ein paar Röntgenbildern. Auf dem dutzend Liegen mit verdreckten weißen Laken liegen bereits einige Unfallopfer neben siechenden alten Menschen mit Infusionen in der Armbeuge.
Meine Begleitung kümmert sich, sichtlich um mich besorgt, mit der Überweisung wedelnd um einen Englisch sprechenden Arzt, während bei mir wieder Fieber, Blutdruck und Puls gemessen wird. Ich schicke meine Hotel-Mama nach Hause zu ihren kleinen Kindern und versichere ihr dankbar, dass ich nun wirklich allein zurecht kommen würde. Nun heißt es warten.
Eine blaue Plastikbettpfanne wird zu dem alten Mann neben mir gebracht, während gegenüber das gebrochene Bein einer schreienden jungen Frau reponiert und mit Holz geschient wird. Irgendwann kann ich mein Anliegen nach einer Blutuntersuchung vortragen, der Zettel des alten Chinesen spricht wohl die gleiche Sprache. Bevor jedoch irgend etwas passiert, muss ich zuerst draußen zu einer Art Kassenbereich mit dem Charme betagter Postämter, und umgerechnet zwanzig Euro für Untersuchung und Labor bezahlen. Mit einem neuen Zettel in der Hand geht es wieder durch die Schwingtür. Ich versichere mich, dass die Nadel auch steril verpackt ist und die wenigen Milliliter Blut die geübt in die Spritze gesogen werden, sollten hoffentlich bald Aufschluss darüber geben, ob ich mir eine Malaria eingefangen habe oder nicht.
Eine halbe Stunde und zwei Motorradunfälle später, steht endlich fest, dass es weder Malaria noch Denguefieber ist. Für Chikugunya fehlen auch einige Symptome. Das lässt hoffen, dass mir zumindest nicht noch Schlimmeres bevorsteht und dass mein Tropenfieber in den nächsten Tagen von selbst verschwindet.
Ein herbeigewunkenes Motorrad bringt mich zurück zu meinem Bett. Durch mein Moskitonetz starre ich auf die rosafarbenen Wände meines Zimmers, mit weiß abgesetztem Stuck an der Decke. Nicht ganz so kitschig wie der übliche chinesische Neo-Jugendstil und nach ein paar Stunden, kurz bevor ich einschlafe, finde ich es fast ein wenig schön.
Am nächsten Tag prasselt immer noch unaufhörlich der Regen auf die Dächer. Besserung ist noch immer nicht in Sicht und mein Fieber beweist die gleiche Hartnäckigkeit. Von Hue habe ich nur einen Straßenblock gesehen, dabei soll die Zitadelle der alten Kaiserstadt wirklich schön sein. Im derzeitigen Zustand bleibt mir jedoch nur meine eigene Zitadelle mit Moskitonetz und rosa Wänden. Das Wetter am nächsten geplanten Ort, Hoi An, ist leider gleichermaßen schlecht, so dass ich mich dagegen entscheide. Bis Ho Chi Minh City (HCMC) sind es allerdings noch über tausend Kilometer und für eine lange Busfahrt fühle ich mich viel zu ausgelaugt.
An solchen Tagen liebe ich einfach mein iPhone. Wettervorhersage für Vietnam abgerufen, Bahnfahrt in Deutschland reserviert, Hotel angefragt, für den nächsten Tag einen Flug nach HCMC gebucht und ein Videotelefonat mit Sheila in der kalten Heimat. Schöne bunte digitale Welt.
Die digitale Welt meiner Hotel-Familie ist allerdings schwer erschüttert. Draußen nichts als Regen und der DVD Player will das Hochzeitsvideo der Tochter nicht abspielen. Der Haussegen hängt schief. Hektische und lautstarke Versuche den Player zum Laufen zu bringen, scheitern allesamt. Zum Glück läuft der Film irgendwann auf einem Laptop und für die nächsten zwei Stunden ist die Welt wieder in Ordnung.

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