Auf einen Daiquiri mit Olodumare, dem Schöpfer des Universums

Havannas Straßen können viele Geschichten erzählen, solche aus längste vergangenen Zeiten genauso wie solche aus dem Alltag der Kubaner. Wer mit offenen Augen durch die Seitenstraßen der Altstadt oder durch das Schachbrettmuster des verfallenen Zentrums streift, der kann Zeichen von schwarzen Humor über den kubanischen Alltag entdecken, genauso wie glühende Bekenntnisse zur Revolution und zum Nationalstolz. Man sieht Aufrufe zu Maikundgebungen, Plakate zu antiimperialistischen Protesten und frisch gestrichenen oder völlig verblasste Bildnisse vom allgegenwärtigen Che Guevara an den Häuserwänden.
In Wohnzimmern stehen kleine Privatkapellen mit christlichen Heiligenfiguren und Kreuzen, aber ganz in weiß gekleidete Männer mit bunten Ketten um den Hals erzählen von anderen Naturreligionen die einst mit den Sklaven kamen und bis heute überlebt haben. Zwar hatten sie Spanier diese Kulte sofort verboten, doch die Sklaven adaptierten den christlichen Glauben wie etwas, das man sich überstreift. So kannten die Nigerianer auch einen Schöpfer des Universums, Olodumare, der seinen Untergöttern wie etwa Chango, Yemaya oder Ochún wiederum Aufgaben und Macht zuwies. Die ähnelte in gewisser Weise dem katholischen Glauben mit seinem Heiligenkult und so kam es, dass zum Erstaunen der Spanier aus den einstigen Heiden auf einmal glühende Anhänger christlicher Heiliger wurden. Andersherum lebten in diesen Heiligenfiguren die schwarzen Götter weiter und tun es noch heute. Jedes neue Gemeindemitglied muss zuerst einen Initiationsritus durchlaufen um zu erfahren, welcher Gottheit er zugeordnet ist. Die Geister der Ahnen, Tanz und Trommelrituale, aber auch Tieropfer spielen dabei eine große Rollen. Von außen, als Tourist, kann man leider nur kleine Bruchstücke der Kultur entdecken, aber man kann erahnen, dass sich in den Hinterhöfen Havannas eine ganz eigene Welt abspielt.
Draußen, offen auf der Straße hingegen gibt es genug Kurioses aus dem Alltag zu entdecken, für das ein aufmerksames Auge reicht. Vor allem jedoch kann man hier die Folgen des Embargos und des Sozialismus bestaunen und wie die Kubaner damit umgehen, welche Fertigkeiten hier eine große Bedeutung haben. Viva la improvisación!
Kubaner transportieren Waren, auf selbstgezimmerten Holzkarren mit scheppernden Industriekugellagern als Rollen über die Straßen. Kinder bauen sich auf gleiche Weise Skateboards und kleine Seifenkisten mit denen sie auf den alten Flaniermeilen Havannas spielen. Aus vergitterten Fenstern werden Pizza, Sandwiches oder Kaffee verkauft, andere Straßenstände verkaufen Fleisch, Eier oder Gemüse. Meist wird auch nur eine einzige Art von Ware verkauft. Frauen verkaufen eine Handvoll Kleiderbügel aus Plastik und zwei, drei Besen, mit denen sie rufend durch die Straßen ziehen.
Handgepinselte Schilder verkünden von Handwerksdiensten wie Schusterei oder Polsterbetrieben, die den über Generationen benutzten Sofas und Stühlen wieder neues Leben einhauchen.
Durch das Embargo sind die Kubaner gewohnt praktisch alles wiederzuverwenden. Einige Straßenhändler sind darauf spezialisiert, Einwegfeuerzeuge nachzufüllen oder neue Feuersteine einzusetzen. Meine Schritte sind in den letzten acht Tagen langsamer geworden, ein wenig habe ich mich an den Lebensrhythmus der Kubaner angepasst.
An jeder Straßenecke hängen Telefone, Mobiltelefone sind immer noch selten und überteuert. Smartphones sind wenn überhaupt nutzlose Statussymbole ohne mobiles Internet. Noch ist der Gang zur Telefonzelle Alltag. Etwas schweren Herzens werde ich diese beeindruckende Stadt mit all ihren bunten Gesichtern, Gegensätzen, dem verblasstem Glanz und auch dem Dreck auf den Straßen morgen verlassen. Standesgemäß mit Cubana Airlines und gutem russischen Fluggerät, einer schicken Antonov-158.
Zuvor jedoch werde in der Touristenfalle schlechthin, der Bar Floridita, zumindest einen Daiquiri trinken, gegenüber Hemingways Bronzestatue an der Bar, der einst gesagt hat, der Daiquiri im Floridita, zubereitet vom Barmann Constant, schmecke, „als führe man mit Skiern einen verschneiten Gletscher hinunter“.
Es blieb aber wohl auch selten bei einem.
Zum Wohl, auf Hemingway und auf nach Costa Rica.

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