Ins Land der Dani

Erst enden die Stromleitungen neben der Straße, dann der Asphalt. Wenige Kilometer weiter endet dann auch die Buckelpiste und das überfüllte Sammeltaxi spuckt nach und nach immer mehr Menschen und Markteinkäufe aus, die zielstrebig weiter Richtung Süden aufbrechen.
Mein Guide Kosman kam gestern Abend sichtlich erschüttert mit schlechten Nachrichten ins Hotel. Ein Todesfall in seiner Familie ist schuld daran, dass er unsere Vereinbarung lösen müsse und umgehend in sein Dorf nah Norden aufbrechen muss. Um die Situation zu lösen, hat er Vorschläge für einen Ersatzguide für den er sich verbürgt und ich erkläre mich schließlich einverstanden.
So kommt es, dass ich nun mit meinem Guide Itung und unserem namenlosen Träger – der eigentlich gar nicht namenlos ist, ich mir den Namen nur nicht merken kann – aus dem Minibus klettern und auf den Weg nach Kilise machen. Schon nach wenigen Metern ist der steinige Weg unterbrochen und vor uns liegt inmitten eines Geröllfeldes der erste Gebirgsfluss der durchwatet werden muss.
Eine Stunde Fußmarsch weiter erscheint der Militärposten bei dem ich mit meinem „Surat Jalan“, der Reisegenehmigung, melden muss. Gezwungene Freundlichkeit prägt das Gespräch, das Militär wird hier von vielen als Besatzungsmacht empfunden. Aber zu diesem komplizierten Thema schreibe ich später mehr. Meine Kameraausrüstung ist von Interesse, Fragen zu meinem Beruf folgen, bevor die Passage genehmigt wird. Der Mensch gegenüber macht wenig Anstalten zu erläutern, warum er meinen Kugelschreiber nun als seinen betrachtet.
Wenig später muss ich noch die Genehmigung auf der Polizeistation eingeholt werden. Diese wird aber belagert von zwei Familien mit zahlreichen Angehörigen. Die zwei Ehefrauen eines Mannes sind in Streit geraten und eine hat die andere wohl mit einem Stück Holz erschlagen. Jetzt geht es um Wiedergutmachung und es wird hart verhandelt. Weil das wohl etwas länger dauern kann, beschleunigen wir mit ein paar Tausend Rupien die Bearbeitung unseres Anliegens, so dass wir schließlich weiterziehen können.

Es ist mittlerweile Mittag geworden und die Sonne brennt erbarmungslos hier in den Bergen unweit des Äquators.
Als Münsteraner, dessen Tiefgaragenausfahrt zu den höchsten Erhebungen im Münsterland zählt, habe ich noch ganz schön damit zu kämpfen mich nun in einen Bergpapua zu verwandeln.
Die Ausblicke auf das Tal und die vielen Hände die ich heute bereits schütteln durfte entschädigen für die Mühen. Den Händen älterer Frauen fehlen oft mehrere Gliedmaßen. So ist es Brauch, beim Verlust eines nahen Angehörigen, einen Finger mit der Steinaxt abzuschlagen. Die indonesische Regierung hat dies zwar mittlerweile verboten, aber es wird vereinzelt noch praktiziert.

Im Dorf Kilise beziehe ich ein Honai, eine traditionelle Hütte. Hier kommen häufiger Besucher vorbei, so dass die Dorfgemeinschaft auf Gäste vorbereitet ist. Ich bin derzeit aber wohl der einzige Fremde in der Gegend. Mein Guide und unser Träger werden die Küchenhütte beziehen. Feuerholz für die Küche kaufen wir im Dorf.
Hier in den Dörfern wird von den Älteren noch der Koteka, auf Dani auch Horim genannt, getragen. Dieser Penisköcher wird aus einem speziellen Flaschenkürbis hergestellt. Anfangs herrscht eine höfliche Distanziertheit, aber mit viel Lächeln, Zigaretten und Luftballons öffnen sich schnell die Herzen und ich werde zum Essen hereingebeten.
Mein Erste-Hilfe-Set wird heute ganz schön strapaziert und ich bin froh, genügend Desinfektionsmittel und die eine oder andere Salbe mehr eingepackt zu haben. Die meisten der Kinder haben sich mit der Machete bei der Feldarbeit verletzt. Während der Großteil nur kleinere Verletzungen hat und sich einfach nur über bunte Pflaster freut, traut ein Junge sich fast gar nicht seine Plastiktüte um den Daumen abzunehmen, die er schon seit Wochen trägt. Der Daumen ist weiß aufgequollen und er tiefe Schnitt schwer entzündet. Mehr als eine Wundreinigung und einen Jodverband kann ich nicht tun.
Unser Träger hat unzählige entzündete Insektenstiche an beiden Beinen, die seit zwei Monaten nicht abheilen und den ganzen Tag von Fliegen belagert werden. Zu guter letzt verschaffe ich einer Frau aus dem Dorf mit Zahnschmerzen dank Tabletten einige schmerzfreie Nächte.

Zum Arzt in die Stadt geht hier niemand und wenn, dann ist es meist schon zu spät. Gestorben wurde hier immer schon dort, wo man geboren wurde.
Die Nacht bricht herein und die Familien sitzen in den Hütten am Feuer und essen, was die Felder hergeben. Süßkartoffeln, Bohnen, Wasserspinat und Karotten. Ich bin dankbar daran teilhaben zu dürfen.

Müde vom Wandern, vom Jetlag und der Höhenluft treffe ich mit den achtbeinigen Genossen die vom Strohdach meiner Hütte auf mein Nachtlager blicken einen Nichtangriffspakt für heute Nacht. Mein Moskitonetz liegt nämlich gut verpackt in Wamena.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert