Meterhohe Brennholzstapel säumen die Treppen und Gassen rund um das Manikarnika Ghat und zwischen den Holzscheiten jagen Mungos nach Ratten.
Ein paar Meter weiter fließt Blut die Betonstufen zum Ganges hinab. Eine Kuh leck ihr kleines Kälbchen ab, das auf dem harten Betonboden gerade das Licht der Welt erblickt hat. Hier schließt sich der Kreislauf des Lebens. Während das neue Leben sich noch wacklig auf den vier kleinen Beinen hält, brennen daneben auf den Scheiterhaufen die Toten. Hundertfünfzig Körper am Tag und mehr werden zunächst im heiligen Ganges gewaschen und dann auf die Scheiterhaufen getragen.
Auf großen Waagen wird das Brennholz abgewogen um den Preis der Einäscherung festzulegen. Das teuerste Holz ist Sandelholz aber für viele unerschwinglich.
Vor dem Tempel und den Verbrennungsplätzen fließt ruhig der Ganges. Der Fluß durchfließt Indien von Norden nach Süden und von West nach Ost. Hier in Varanasi fließt er jedoch auf einigen Kilometern nach Norden in Richtung des Himalaya, das als Sitz der Götter im hinduistischen Universum gilt.
Der Glaube sagt, wer in Varanasi stirbt und verbrannt wird, der kann Moksha erlangen, dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt entrinnen.
Menschen kommen daher aus dem ganzen Land um hier zu sterben und leben ihre letzten Monate in Häusern rund um die Ghats, bevor der Tod eintritt.
Danach ist es an der Familie, die nötigen Rituale zu vollziehen und die Verbrennungszeremonie abzuhalten. Zur Zeremonie lassen sich die Trauernden die Haare abrasieren.
In ein weißes Gewand gehüllt wird der älteste Sohn oder der Ehemann die Flammen des Scheiterhaufens entfachen. Mit einer Fackel aus Reisig und Stroh wird das ewige Feuer aus dem Shiva-Tempel herbeigetragen. Seit über 3000 Jahren soll dieses Feuer bereits unentwegt brennen und noch vor jedem Hochwasser in Sicherheit gebracht worden sein.
Über den noch zündelnden Flammen liegt der Leichnam in Tücher gehüllt und mit Blumen und Goldfolie geschmückt. Sandelholzpulver, Honig und Wasser aus dem Ganges werden auf den Toten gegossen bevor die Flammen emporschlagen.
Nachdem der Scheiterhaufen bereits einige Stunden brennt, wird mit einem Stock der Schädel des Toten zu zerschlagen, damit die Seele den Körper verlassen kann.
Rückwärts wird danach ein Tongefäß mit Wasser aus dem Fluss auf den Scheiterhaufen geworfen wo es zerbricht. Ein symbolischer Bruch der Verbindung, der Beziehung, ein Zeichen getrennte Wege zu gehen. Die freie Seele soll den richtigen Weg einschlagen und nicht etwa Anlass haben im Diesseits zu verbleiben. Daher ist auch kein Wehklagen zu hören, keine Träne zu sehen und auch keine Frau zur Totenverbrennung zugelassen.
Dies schließt auch aus, dass sich die Ehefrau auf den Scheiterhaufen stürzt, um Satz zu begehen und verbunden mit ihrem Mann ins Jenseits zu gelangen, wie es zu früheren Zeiten grausamer Brauch war und auch heute noch vereinzelt vorkommt.
Was nach drei Stunden vom Verstorbenen noch übrig ist wird schließlich dem Ganges übergeben. Meist ist es ein Teil der Wirbelsäule oder vom Beckenknochen, der vom Sohn der Strömung übergeben wird.
Danach dient ein rituelles Bad im heiligen Fluss als Abschluss der Zeremonie.
Der Pilgerstrom nach Varanasi fließt ebenso stetig wie der heilige Fluss selbst. Menschen aus dem ganzen Land kommen hierher um öffentlich die intimsten Zeremonien rund um das Leben und Sterben zu begehen. Hochzeiten werden gefeiert, Pilger baden im Ganges, rituelle Waschungen werden durchgeführt, Kerzen auf den Fluss gesetzt, mitgebrachte Asche verstreut und Kanister mit heiligem Wasser nach Hause genommen. Abends säumen Bettler mit allen erdenklichen Gebrechen die Pilgerpfade zum Ufer und orange gekleidete Sadus und Gurus aller möglichen Sekten und Strömungen hoffen auf Spenden.
Eine Welt voll farbiger Saris und Gewänder und ein Meer aus Lichtern, Kerzen und Blüten.
Frierende Kinder warten auf Mutters Handtuch, irgendwo zwischen Waschweibern, Pilgern, Barbieren und Händlern. Auf dem Boden der Müll, Haare und Kuhfladen. Eine Welt für sich.
An der weißen Asche auf dem Körper und Totenschädeln als Bettelschale erkennt man zudem die Aghori Mönche, Angehörige einer radikalen shivaistischen Sekte, die sich auf Baba Keena Rama aus dem 18. Jahrhundert beruft.
Sie gebärden sich oft wie Wahnsinnige, sprechen wirr oder gar nicht und praktizieren Rituale die gläubigen Hindus nie in den Sinn kämen. Einer den ich traf, bedeutet mir wild gestikulierend, dass er seit drei Jahren nicht mehr spreche und dies auch die nächsten neun nicht vorhat.
Es ranken sich zahlreiche Geschichten um diese Gestalten. Es heißt, dass sie sich mit Totenasche einreiben und das Fleisch von Verstorbenen essen. Von Ritualen mit Blut und Knochen und allerlei Schauergeschichten mehr ist die Rede. Fragt man einen Inder nach den gruseligen Mönchen, so stößt man nicht auf Respekt wie vor den alten Männern in Orange, sondern häufiger auf Furcht und Ablehnung. Gerade das Brechen von gesellschaftlichen und religiösen Tabus, die Überwindung und Beherrschung von Ängsten spielt eine große Rolle in der Askese der Aghori.
Zur Meditation raucht der bleiche Mann am Gangesufer allerdings anscheinend auch alles was gerade erhältlich ist. Das wiederum scheint der Verwirrtheit nicht unbedingt abträglich zu sein.
Beim stummen Fuchteln seiner Arme fühle ich mich an den Einsiedler aus „Das Leben des Bryan“ erinnert und ich verspüre Lust ihm auf den Fuß zu treten um zu schauen wie ernst ihm seine Askese und seinem Schweigegelübde wohl ist.
Aber wer will es sich schon mit Geistesgestörten verscherzen und so mache ich mich wieder auf, die Gassen hinter den Uferpalästen und Tempeln zu durchstreifen, den Kuhfladen auszuweichen und hier und da einen Chai zu trinken.