Eine trächtige Hundedame legt sich neben mich in den Sand und versucht mit den Zähnen die lästigen Flöhe zu erwischen, die sich unerreichbar auf der entferntesten Seite des kugelrunden Fellplaneten gemütlich gemacht haben. Irgendwo gibt eine eine Kokosnuss den Widerstand gegen die irdische Schwerkraft auf und begibt sich auf auf einen kurzen Ausflug mit lautstarkem Finale, das die einlullenden Klänge der Brandung kurz vergessen lässt.
Einige Flugstunden von Kalkutta entfernt, weitaus näher an Burma als am indischen Subkontinent, liegen die Andamanen und Nicobaren. Hunderte kleine und große Inseln, die wenigsten davon bewohnt und auf den meisten der Zutritt untersagt, um die Eingeborenen zu schützen, die zum Teil noch immer isoliert hier leben.
Die Küsten zeigen noch die Folgen des großen Tsunamis, der viele Inseln verwüstet und die Zahl der Bewohner weiter verringert hat. Viele der alten Volksgruppen wie die Onge, die Sentinelesen oder die Jarawa sind mittlerweile vom Aussterben, besser gesagt von der indischen Zivilisation bedroht. Vom Festland eingeschleppte Masern und Grippeviren haben ihren Teil dazu beigetragen.
Ausländer die auf die Andamanen reisen, müssen bei der Ankunft in Port Blair eine Genehmigung für die zutrittsbeschränkten Gebiete beantragen und bei ihrer Ankunft eine Einreisekontrolle durchlaufen. Danach öffnet sich dem Besucher eine kleine Tropenstadt, die aus einer britischen Strafkolonie hervorging und wenige Fährstunden in rostigen Kähnen weiter, Inseln mit üppigem Dschungel, bunten Korallenriffen und einfachen Bambushütten am Strand. Indische Hochzeitspaare verbringen hier ihre Flitterwochen und erholen sich, gemeinsam mit Traveller aus aller Welt von der Hektik und dem Smog der indischen Großstädte.
Auf der Insel Havelock finden sich noch einsame Strände, umsäumt von üppigem Grün, das nach wenigen Metern bereits undurchdringlich ist, mit etwas Glück begegnet man Raja dem Arbeitselefanten im Ruhestand, der für gewöhnlich ein paar Mal pro Woche ein Bad im Meer nimmt. Große graue Ohren tauchen ins Wasser, eine Rüssel rudert durch die Brandung, während sich der Elefant auf die Seite legt um sich genüsslich von seinem Mahout den faltigen Körper schrubben zu lassen. Die Szene garantiert großartige Fotos in der Brandung wird aber vor allem dann ein ganz besonderes Erlebnis, wenn man feststellt, dass der alte Herr beim Bad auch eine ausgiebige Darmentleerung zu pflegen scheint.
Während die Sonne den Horizont bereits etwas rot verfärbt, erstrahlt das Meeresleuchten daher heute in einem satten Grün.
Weniger wegen dem Elefantendung, mehr jedoch wegen Unwetter stehen meine Tauchpläne in den nächsten Tagen unter einem schlechtem Stern. Zwei Tage in Folge wurden von der Küstenwache jegliche Ausfahrt gestrichen und so bin ich gezwungen, auf meiner Bambusveranda die mitgebrachten Bücher zu lesen und zu akzeptieren, dass es am Ende ein paar Tauchgänge weniger werden, als ich mir vorgenommen habe.
Die wenigen Ausflüge in die Unterwasserwelt der Andamanen entschädigen jedoch für das Warten mit üppigen Riffen und Schwärmen von Makrelen und Barrakudas.
Der kräftige Regen der letzten Tage macht auch einige Pfade für Tage unbegehbar und so manches an Getier sucht trockenen Unterschlupf in höheren Gefilden. Während in meiner Hütte nur die eine oder andere Laufechse vorbeischaut, hat es sich bei meinem Nachbar eine Schlange im Tauchgepäck gemütlich gemacht.
Die ohnehin schon mit Schlaglöchern übersäte Inselstraße wird durch den Matsch für den gemieteten Motorroller noch ein wenig abenteuerlicher. Da die Funktion meiner Fahrzeugbeleuchtung wohl ausschließlich von Shivas Launen abhängt, muss ich meine Ausflüge zu den entfernten Stränden oder dem einzigen Ort, an dem ich zumindest SMS empfangen kann, immer auch nach dem Sonnenstand planen, was nicht ganz einfach ist.
Da selbst hier, siebzehnhundert Kilometer östlich noch die selbe Zeit wie in Delhi gilt, wird es bereits um vier Uhr hell und die Sonne verabschiedet sich gegen sechzehn Uhr wieder eindrucksvoll am Horizont. Das Leben folgt hier seinem eigenen Rhythmus. Auch mein Tag beginnt sehr früh am Morgen und endet zeitig unter dem luftigen Moskitonetz in meiner Hütte.
Derzeit gerät das Leben allerdings etwas aus dem Gleichgewicht, die halbe Insel ist in Aufruhr. Der für die Ausgabe der Alkoholausschanklizenzen zuständige Beamte wurde kürzlich wegen Korruption verhaftet und die eine oder andere Lizenz wurde kurzerhand kassiert. Manche Restaurants teilen sich ihre Lizenz offensichtlich, so dass nie ganz klar ist, wo und wann man auch ein Bier bekommen kann. Von daher sind die Schlangen vor dem offiziellen Spirituosenhändler mindestens genauso lang, wie die nebenan vor dem einzigen Geldautomaten der Insel.
Am Morgen meines letzten Tag auf Havelock löst dann die Hündin vom Strand ihr Fruchtbarkeitsversprechen ein und während ich frühstücke, streiten unter meiner Bank sechs kleine Welpen um die besten Platz an Mutters Bauch. Und als ich mich auf meine Reise nach Delhi und damit auf den Rückweg in Richtung Heimat mache, brechen ein paar Flöhe zu einer Reise ins Unbekannte auf, um kleine, mit mit weißem und schwarzen Fell bewachsenen, Trabanten zu besiedeln, die ihren Mutterplaneten noch einige Zeit umkreisen werden.