Nordwind

Der Winter ist da. Kalter Nordwind von Kanada zieht übers Meer und bringt Regen und Abkühlung. Das Thermometer macht keine Anstalten über zwanzig Grad steigen zu wollen. Auf der Straße stehen frierende Menschen, eine Kubanerin trägt Wintermantel mit Fellkragen. Ein Sturm peitsch die Wellen über die Mauer am Malecon hinweg und nach und nach wird die Küstenstraße gesperrt. Noch ist eine Fahrtrichtung geöffnet, doch Taxis fahren Slalom zwischen den Pfützen und den hereinbrechenden Wellen. Schuljungen auf dem Gehweg laufen weiter mutig auf dem Gehweg. Es scheint wie ein Spiel – wer zuerst vor den Wellen wegläuft, verliert. Ich versuche derweil meine Kamera so gut es geht vor dem Salzwassernebel zu schützen.
Die Musik auf den Straßen ist heute etwas leiser als sonst und konkurriert mit dem Rhythmus der Regentropfen die auf Wellblech-, Beton- oder alte Autodächer prasseln. Mehr oder weniger gegen den Regen gewappnet mache ich mich auf nach Chinatown. Zwar leben heute angeblich nicht mehr als dreihundert Chinesen in ganz Havanna, die Spuren der billigen Lohnarbeiter, die nach dem Ende der Sklavenarbeit nach Kuba kamen um auf den Zuckerrohrfeldern zu arbeiten, finden sich in der ganzen Stadt und auch in so manchen kubanischen Gesichtszügen. Auf dem chinesischen Friedhof und eben in Chinatown finden sich die meisten kulturellen Überbleibsel dieser Einwanderer. Leider haben sich die kulinarischen Künste der Chinesen mittlerweile auch sehr der kreolischen Einheitsküche angepasst.
Das Wetter hat sich auch über Nacht nicht grundsätzlich geändert. Der Himmel öffnet noch immer seine Schleusen und die Straßen von Havanna werden gründlichst gespült.
Ich muss zunächst dringend mein Flugproblem lösen. Cubana Airlines war so frei, meine Kreditkarte doppelt zu belasten, was nicht zur Erheiterung beigetragen hat und was ich bereits in Deutschland schon habe zurückbuchen lassen. Allerdings wurde mir kürzlich ein zweiter Buchungscode zugeschickt und man ist wohl der Meinung, dass die Buchung seine Richtigkeit hat. Ich habe dank eines kubanischen Buchungsproblems derzeit also zwei Sitzplätze.
Die Niederlassung von Cubana erinnert an ein gutes deutsches Straßenverkehrsamt in den frühen 80er Jahren. Es gibt immerhin eine Nummeranzeigetafel. Um aber eine Nummer zu bekommen muss man sich an der Schlange vor der Information anstellen. Quien es el ultimo? Aha. Und wieder warten.
Die erste Schlange hatte ich heute bereits im Computer-Druck-Center hinter mir, schließlich brauchte ich noch meinen Mietwagenvoucher in Papierform für Costa Rica, den ein Tintenstrahldrucker eine halbe Stunde später artig, Zeile für Zeile zu Papier gebracht hat.
Die Dame an der Information hört sich mein Problem an und händigt mir einen Wartezettel aus auf den sie in Seelenruhe eine Nummer kritzelt.
Nun heißt es wieder warten, bis meine Nummer auf der Anzeigetafel erscheint. Das Flugproblem ist jedenfalls nach einer halben Stunde Warten vom Tisch, offenbar vertritt man nicht die Ansicht, dass der Reisende bei der Buchung einen Fehler gemacht hat, sondern dass es sich höchstens um imperialistische Sabotage in diesem Internet handeln könnte oder so ähnlich.
Den Rest des Tage lasse ich mir von Alejandro, meinem Vermieter und nebenbei Taxifahrer und Kubaner durch und durch, die etwas weiter abgelegenen Stadtteile Miramar, den Platz der Revolution mit seinem riesigen José Martin Denkmal und allerlei andere Orte von Havanna zeigen. Nachdem ich vor dem Regen am gestrigen Tag ins Revolutionsmuseum und ehemaligen Präsidentenpalast geflohen bin, tut es gut ein wenig in der Stadt herumzukommen. Alejandros Lada ist sein ganzer Stolz, zählt in etwa so viele Jahre wie ich auch und er wird mit viel Geduld am Leben erhalten. Kürzlich neu lackiert, das Armaturenbrett mehrfach überpinselt, der Motor verschluckt sich gelegentlich, Abgase ziehen in den Innenraum und die Türverkleidung fehlt, aber er läuft.
Ein Lada fürs Leben.

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