Die Leiche musste weg. Hastig in der Dunkelheit aus einem Fahrzeug gezogen und über das marode Brückengeländer gewuchtet. Nicht etwa der Fluss sollte die Spuren des Verbrechens beseitigen, sondern die großen Krokodile, die hier in großer Zahl unterhalb der Brücke über den Rio Tarcoles leben und nur drauf zu warten scheinen, dass etwas oder jemand ins Wasser fällt.
Die Überreste der jungen Frau wurden am nächsten Morgen beim Fotografieren von einer Touristin entdeckt. Erwürgt, der Körper mit Blutergüssen übersät. Notdürftig wieder mit Top und Shorts bekleidet. In der Nacht entsorgt. Allerdings anders als erhofft, von den Krokodilen nicht angerührt, die in der Morgensonne lagen um ihre mächtigen Körper auf Temperatur zu bringen.
Krokodile haben sehr schlechte Augen, dafür einen hervorragenden Geruchssinn und sie entwickeln beim entferntesten Geräusche eines potentiellen Opfers im Wasser eine Eigendynamik die man den ruhenden Echsen erstmal nicht zutrauen würde.
Was in der Dunkelheit der Septembernacht schief lief war, dass die Leiche nicht ins Wasser fiel, sondern wie ein nasser Sack auf einer der Sandbänke landete und keines der Tiere darauf reagierte.
Dies ist nur eine von vielen schaurige Geschichte, die sich dieses Jahr im Zusammenhang mit den Krokodilen von Tarcoles ereignet hat. Ein junger Nicaraguaner hat im Frühjahr wohl Selbstmord begangen indem er von der Brücke sprang. Einzig sein Kopf wurde Tage später unweit der Flussmündung am Strand gefunden, der Rest blieb für immer verschollen.
Spannend ist es in jedem Fall, den riesigen Echsen aus sicherer Entfernung zuzuschauen, auch ganz ohne schaurige Geschichten. Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, an denen sich so viele Krokodile aufhalten. Bis vor wenigen Jahren wurden die Tiere von der Brücke aus gefüttert, was dazu geführt hat, dass die Population bei heute mehr oder weniger ortstreu ist.
Trotz Polizeipräsenz zu beiden Seiten der Brücke geschehen aber jedes Jahr immer noch Zwischenfälle wie die beiden oben beschriebenen.
Man könnte sagen, die Tiere bekommen immer noch gelegentlich etwas zu fressen an dieser Stelle des schlammig-trüben Rio Tarcoles.
Meine Reise führt mich wieder weg vom Pazifik, weiter in den Norden zum Vulkan Arenal mit seinen fruchtbaren Hängen, dem größten Binnensee Costa Ricas und einem malerischen Vulkankegel, der für mich in den nächsten Tagen jedoch nicht seinen weißgrauen Schleier lüften wird.
Stattdessen beherrscht der Regen meinen nächsten Tage und kräftige Winde wackeln an den Wänden meiner Unterkunft, Essence Arenal.
Mario, ein gestandener Koch, der den Eindruck vermittelt, sein halbes Leben lang zur See gefahren zu sein, und keinen Zweifel daran lässt, wo das Zentrum diesen entlegenen Universums am Fuße des Vulkans Arenal ist. An seinem Herd. Die gesamte Rezeption befindet sich in einem Wandschrank, nicht größer als einer der beiden Kühlschränke, in der offenen Küche. Gäste, die sich hier auf das strikt vegetarische Abendmenü einlassen, dürfen zunächst ihre Fähigkeiten im Umgang mit Teig beweisen. Indisches Naan Brot am ersten Abend, Hefeteigbrötchen tags darauf, werden unter souveräner Anleitung von geübten wie ungeschickten Händen der Gäste auf der Arbeitsfläche geknetet.
Allein dieses Erlebnis ist die Reise über die steile Buckelpiste nach El Castillo bereits wert vom Ausblick auf den Arenal See und den Vulkan ganz zu schweigen. In der Nähe befindet sich eine Art Reptilien- und Amphibienzoo mit unzähligen Schlangen, Fröschen und Echsen. Hier lässt sich die Artenvielfalt an Costa Ricas Schlangen nochmal bestaunen.
Im Nationalpark selbst leben tausende Schlangen, die jedoch wie so oft heißt unsichtbar bleiben. Nur eine kleine gelbe Greifschwanz Lanzenotter zeigt unbeweglich ihre leuchtenden Schuppen neben dem Wanderweg durch die Vulkanlandschaft.
Nach zwei regnerischen Tagen zieht es mich weiter auf die trockene Nicola Halbinsel um auf den letzten Metern meiner Reise noch etwas Sonne zu tanken.