Havanna

Es ist noch dunkel, doch auf der Straße erwacht zaghaft das Leben, während andere den Schlaf noch vor sich haben. Ich gehöre nicht zu letzteren sondern bin mit auf dem weg zum Capitolio um heute den Havanna- Marathon zu laufen. Zugegeben, ich bin nur dabei um mir das Spektakel anzuschauen. An meiner Stelle läuft dafür Christopher, der in der gleichen Privatunterkunft wohnt wie ich, seinen 30. Marathon. Wie er später sagen wird, in seiner schlechtesten Zeit. Die Hitze und die Abgase der Oldtimer geben diesem Lauf ihren eigenen Charme.
Das Kapitol wird derzeit restauriert, die Häuser gegenüber sind weiter dem Verfall preisgegeben. Diese Kulisse macht wohl auch den Reiz dieses Laufes aus. Die Marathonstrecke führt durch Teile der Stadt die gegensätzlich sind und in denen andere Lebenswirklichkeiten herrschen. Millionen der UNESCO fließen jedes Jahr nach Havanna Vienna, die historische Altstadt, und wunderbar restaurierte Gebäude und Paläste stehen aneinandergereiht und umspült vom täglichen Touristenstrom, Händlern, Schlepper und Gelegenheitsbettlern.
Während die Touristenschlangen unaufhaltsam die Fußgängerzone hinunter strömen, zeigen lange Schlangen von Menschen an der Häuserwand lehnen, dass es ein anderes Havanna gibt, eine andere Wirklichkeit als die, die auf dem iPad zu sehen ist, das im Panoramamodus durch die Gassen geschwenkt wird. Eine Wirklichkeit die von Rationskarten und Mangel erzählt, von einem Überfluss an Zeit und unerschütterlichem Optimismus und Humor und die die Erfolge der Revolution hochhält. Vor Banken, Postämtern, Apotheken an den Bushaltestellen oder einfach nur vor den Ausgabestellen für Lebensmittel – Schlangestehen ist sozialistischer Alltag. Daher ist die Frage „Wer ist der letzte?“ eine der am häufigsten gestellte. Merke dir das Gesicht desjenigen, der vor dir steht. Schlangen sind lang und ändern ständig ihre Form. Zur Mittagszeit sitzen die Wartenden auch verteilt im Schatten, während das Amt oder die Apotheke gerade Siesta macht.
Nirgendwo ist dies besser zu spüren als in Centro Habana, auf der Suche nach dem wahren kubanischen Leben. Hier mischen sich alle Hautfarben. Schreiner, Schlosser und Automechaniker betrachten die Straße als ihre Werkstatt und aus offenen Hausfluren flieht schon einmal ein Huhn um dem Schicksal des Nationalgedichts mit Reis und Bohnen zu entkommen oder weil es ein afrikanischer Vodoopriester für ein Hinterhofritual braucht.
Kinder laufen in Schuluniform durch die Gassen und spielen abends Fußball auf der Straße. Eine Frau zieht schimpfend vom Balkon heruntergelassene Körbe nach oben, in die der Gatte auf dem Gehsteig die rationierten Lebensmittel gelegt hat. Offenbar ist Butter gerade aus.
Diesen Teil der Stadt lässt der Marathon weitestgehend aus, führt aber daran an der langen Uferstraße, dem Malecon, vorbei, Zum Start waren die Temperaturen noch angenehm. Zweit Stunden später stellen die Wellen, die über die Promenade hinwegbrachten bereits eine willkommene Erfrischung dar. Die acht Kilometer lange Uferstraße führt von den Festungsmauern der Altstadt über die verzierten vorrevolutionären Stadthäuser und Villen aus den 19 Jahrhundert bis bis hin zu den sozialistischen Wohnungsbauerrungenschaften im Stadtteil Vedado und Miramar. Scheinbar alles trotzt hier mehr schlecht als recht dem ständigen Salznebel vom Meer.
Abends trifft sich halb Havanna am Malecon. Liebespaare neben Anglern, Jugendlichen, Touristen, Polizisten, Musiker, vereinzelt Prostituierte und Bettler. Hier bewegt sich die Menschen Havannas, hier waschen die Gischt der Wellen die Abgase der alten Autos aus der Luft zerstreut den Zigarrenqualm der alten Habaneros und das Parfüm der russischen Touristinnen.
Im Wind lärmen die dicht stehenden 138 Fahnenmasten, die Castro hier gegenüber der US-Interessenvertretung aufstellen ließ, um die US Propagana auf elektronischen Anzeigetafeln am Gebäude zu verdecken. Auf der Tribuna Antiimperialista davor werden jedes Jahr Massenproteste gegen die US-Regierung organisiert.
Einige Meter weiter verfällt ein Sportstadion vor sich hin, die sozialistischen Wohnungsbauten tun es ihm gleich. Der Marathon ist längst zu Ende, doch ich werde die nächsten Tage weiter die Straßen von Havanna auf und ab laufen auf der Suche nach dem kubanischen Alltag.

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